



In der Email des Mikropol Newsletters ist für den Sonntag, 7. Oktober 2018, von 11:00 bis ca. 12:00 “Planänderung – Besichtigung ohne Flohmarkt angekündigt”. Eine Absperrung der Verkehrsinsel (auf der sich das Mikropol befindet) hätte ca. 800 Euro kosten sollen. (Nächstes mal also doch wieder inoffiziell.)
Das erste Mal vor Ort
Am Sonntag den 7. Oktober 2018 scheint die Sonne. 7.30 Uhr, aufstehen, Frühstück, wir müssen später noch an die an die HfbK. Ich will um 11.00 Uhr beim Mikropol sein. Es hat 9° Celsius, also Fahrrad fahren, mit dem HVV wäre ich in 35 Minuten da gewesen. Auf dem Fahrrad habe mir die Adresse nicht gemerkt, aber das Bild über die Karten App eingeprägt. Ich fahre nicht wie jeden Tag über die HafenCity, sondern über Deichtorplatz und Amsinckstraße. Da ich das erst Mal dazukomme, lasse ich Notizheft und Stift zu Hause, nehme nur meine Kamera mit. Marius und ich haben über die Idee, das Seminar = Projekt Project Management in Urban Design in Koproduktion zu machen, gesprochen und daraufhin Marius eine Stelle als akademischer Tutor ermöglicht. Wir sind für Morgen (8. Oktober) verabredet um die Seminar = Projektplanung zu besprechen.
Mikropol
Marius ist einer von fünf Menschen, die in erster Linie organisatorisch mit dem Projekt Mikropol zu tun haben. Ina, Lisa, Torben, Steffen und Marius stehen auf einem Foto im Hamburger Wochenblatt an die Außenmauer des Klohäuschens (=Mikropol) gelehnt. Die Überschrift lautet “Kultur im Toilettenhäuschen, 20.000€ für Sanierung der ehemaligen Bedurfsanstalt”. Das in dem Artikel erwähnte Geld stammt von der Kulturbehörde. Die Gruppe hatte sich mit dem Mikropol für den Etat Kunst im Öffentlichen Raum beworben und bekam den Zuschlag. Das Anträge schreiben in solchen Projekten ist gängige Praxis. Marius berichtet von
Als ich nach 25 Minuten Fahrradfahren an der Kreuzung Billhorner Mühlenweg und Billhorner Röhrendamm ankomme, stehen Torben, Marius und ein älterer Herr vor dem vom Betrieb genommenen Klohäuschen auf einer Grünfläche zwischen den beiden Fahrbahnen. Erstmal “hallo, toll, dass der Tag so gut ist”. Noch besser ist, dass das Klohäuschen zum ersten Mal öffentlich zugänglich ist. Ich gehe rein, einmal durch an zahlreichen Toiletten vorbei, Kabinen, Rinnen, Handwaschbecken, nach Geschlechtern getrennte Ein- und Ausgänge an gegenüberliegenden Gebäudeseiten. Die offene Tür ist wohl der Zugang zu den Damentoiletten. Die Tür vom Gang vor dem Raum mit der Rinne ist verschlossen und mit Holzplatten verstärkt. Wieder vor dem Gebäude schüttet Steffen Aprikosenkerne, mit Zitrone überzogene Mandeln (Lisa sagt, die schmecken nach Spüli), Rosinen (da bin ich mir nicht sicher, die sind sehr grünlich-weiß) und Brombeeren (auch hier bin ich unsicher, die sind sehr klein und gebrochen) in mitgebrachte Schalen. Das Gebäude steht wohl noch, weil im hinteren Teil eine Trafostation von Hamburg Energie oder Vattenfall ist. Vattenfall in Rothenburgsort ist auch für das Kraftwerk Bille relevant, das ist aber eine andere Geschichte. Auf der Außenmauer des Klohäuschens klebt noch ein Plakat vom “Elbebadetag”. Eine Veranstaltung der Nachbarschaftsinitiative Hamburgs Wilder Osten (HWO), an dem sich seit nun mittlerweile 17 Jahren Nachbar*innen aus Rothenburgsort und Umgebung am Haken treffen um gemeinsam in der Elbe zu Baden. Das Mikropol arbeitet eng mit der Initiative zusammen und hat den diesjährigen Badetag mit einer Grill- und einer Siebdruckstation unterstützt. Als nächster Schritt soll ein Verein gegründet werden. Brigitte Gröschel, Bezirksamt Mitte (Fachamt Management des öffentlichen Raumes), die für bauliche Anlagen im öffentlichen Raum zuständig- und das Projekt unterstützend tätig ist, ist sogar mit ihrem Mann gekommen.
Monopol
Das Mikropol ist Teil der Initiative “Monopol für alle”, welche sich mit der Entwicklung des Geländes der ehemaligen Bundesmonopolverwaltung für Branntwein (BfB) befasst. Nach dem Abriss der RothenBurg, dem ehemaligen Stadtteilzentrum von Rothenburgsort will die Gruppe das (etwa 12.500 Quadratmeter) große Gelände der Nachbarschaft zugänglich machen. Die Bundesmonopolverwaltung für Branntwein (BfB) liegt auf einer Fläche zwischen Alexandra-Stieg und Billwerder Neuer Deich, wo Oberhafenkanal und Haken in die Norderelbe münden. Mehrfamilienhäuser, Holiday Inn, Public Golf-Course (eine Driving Range), Elbpark Entenwerder, Clouds Hill (Musikstudio von Johann Scherer) und Entenwerder 1 (hier frühstücken der Oberbaudirektor und viele andere gerne, auch fährt der HafenCity Riverbus hier ins Wasser um auf der Norderelbe zu gleiten) liegen im unmittelbarem Umfeld.
“Die BfB prüft und reinigt den Alkohohl, um ihn als chemisch reinen Alkohohl zur industriellen Weiterverarbeitung weiterzuverkaufen. ‚Wir sind ein Exot‘, sagt Betriebsleiter Winfried Schneider lachend, ‚schließlich bieten wir im Gegensatz zu anderen Behörden keine Dienstleistungen, sondern verkaufen ein Produkt‘.” (Kukuk: 2008) “Mit dem Auslaufen des Branntweinmonopolgesetzes zum 31. Dezember 2017 sind die operativen Aufgaben der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein (BfB) auf Dauer vollständig entfallen. Die BfB als Bundesoberbehörde wird nach dem Branntweinmonopolverwaltung - Auflösungsgesetz (BfBAG) im Laufe des Jahres 2018 abgewickelt und ist nach § 6 BfBAG mit Ablauf des 31. Dezember 2018 aufgelöst.” (http://www.bfb-bund.de)
für alle
Das es die BfB an dieser Stelle gab, wussten nicht viele Hamburger. Das es die Gruppe Monopol für alle bereits seit zwei Jahren gibt, wissen laut Lisa auch nicht viele. Auf der Facebookseite “Monopol für alle” ist der erste Eintrag auf den 18. Februar 2017 datiert. Ende des Sommers 2016 war bereits die Wiener Zeitschrift für Stadtforschung dérive im Rahmen des Urbanize Festivals. Housing the many! zu Besuch im Quartier. Im Rahmen des Festivals bot die Gruppe einen Workshop an, bei dem an dem (damals noch sehr jungen) Projekt gearbeitet wurde. Nur etwa 200 Meter vom Monopol entfernt entwickelt die Gruppe einen ersten neuen Ort für die Nachbarschaft. Das Mikropol. Dies ist in Sofern Teil dessen, als dass es als erster Testraum verstanden werden kann. Über den Gebrauch des Ortes werden sich Bedarfe und auch die dazugehörigen Akteure herausstellen. Diese gilt es dann auf das Monopolgelände zu skalieren, beziehungsweise zu übersetzen und zusammenzuführen. Eine performative Planung (im Gebrauch). Mittlerweile ist die Initiative allerdings nicht mehr der einzige Akteur mit Interesse an dem Gelände.
Der Tisch, der am 7. Oktober 2018 vor dem Klohäuschen steht, ist auch schon auf Fotos vom Frühjahr 2017 zu sehen. Er stammt aus dem so genannten Stadtteilwohnzimmer der Abgerissenen RothenBurg. Darauf stehen, wie in der Email angekündigt, Tee aus Thermoskannen, eine Bodum Bistro, zwei Isolierflaschen aus Edelstahl, kleine Teegläser, keine Löffel – deshalb wird der Zucker (ein großer Kandisblock) in ein Küchentuch eingewickelt und gegen den mitgebrachten Holzcouchtisch geschlagen um ihn portionsgerecht zu zerkleinern. Toll hier. Es sind nun etwa 15 Leute da. Auf dem Tisch liegen auch noch Postkarten und Flyer, Lisa hat leer gezeichnete Grundrisse und Ansichten des Klohäuschens auf A4 dabei. “Beteiligung braucht Pläne”, sagt sie. Ja, das ist uns allen im Esso Häuser Prozess deutlich geworden. Die Gruppe hat Plastikstühle, eine Multiplexplatte und Texte in Form von Klebefolien mitgebracht. Der Text (in unterschiedlichen Sprachen) ist auch auf http://mikropol.de/info.html zu finden und soll später noch aufgeklebt und angebracht werden. Eine Gruppe Nachbar_innen sitzt auf den weißen Gartenstühlen in der Sonne. Autofahrer_innen kurbeln die Fenster runter, fragen was hier passiert. Eine Familie die zufällig mit dem Fahrrad vorbei fährt hält an. Im Hintergrund läuft leise Musik. Selbst während der Besichtigung verwandelt sich der Ort schon zu einem Treffpunkt.
Ich muss los, Marius und ich sprechen noch über den Termin morgen. Ich habe die ersten beiden Takes zu Epistomologie vs. kollektive Praxis und Werkzeuge des Projektmanagements bereits fertig. Wir überlegen mit einer Beschreibung der heutigen Situation das Projekt im Seminar zu vermitteln. Weiteres soll dann im Seminar entwickelt werden. In der Nachbarschaft überlegt man bereits was das Gebäude nun werden kann. Ein Nachbar – ein gelernter Koch – könnte Essen machen und überlegt an einem Nachbarschaftsdinner, es wäre toll im Sommer das Dach betreten zu können, ein Imbiss sei eine gute Idee, dazu bräuchte es im Rahmen der Sanierung die Installation einer Durchreiche, beziehungsweise ein großes Fenster zur Kreuzung hin. Die von Lisa mitgebrachten Pläne sind mittlerweile ausgefüllt wurden. Nachdem ein Junge Lisa seinen Vorschlag in die Hand drückt, fragt Lisa: “Willst du mir noch was dazu erzählen?”